Der Deutsche Bundestag hat eine umfassende Gesetzesänderung im Energiewirtschaftsrecht beschlossen, die auf den Entwürfen der Drucksachen 21/1497 (Gesetzentwurf der Bundesregierung) und 21/2793 (Beschlussempfehlung des Wirtschaft- und Energieausschusses) basiert. Ziel ist es, europäische Vorgaben umzusetzen, den Ausbau erneuerbarer Energien (EE) voranzutreiben und die Digitalisierung der Energiewende zu stärken. Für Energiegenossenschaften, die EE-Projekte realisieren und Stromnetze betreiben, ergeben sich insbesondere in den Bereichen Energy Sharing, Netzbetrieb und Netzanschluss wichtige Neuerungen. Die Änderungen betreffen unter anderem das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG).
Energy Sharing: Neue Möglichkeiten für EE-Projekte
Die Gesetzesnovelle fügt in § 42c EnWG-E neue Regelungen zum sogenannten „Energy Sharing“ ein. Diese ermöglichen Letztverbrauchern (natürliche und juristische Personen mit Ausnahme größerer Unternehmen) die gemeinsame Nutzung von Strom aus EE-Anlagen auch über das öffentliche Netz.
Die Regelungen sehen im Einzelnen u.a. vor:
- Voraussetzungen und Beteiligung: Energy Sharing ist möglich, wenn der Strom aus einer EE-Anlage oder einer Energiespeicheranlage, in der ausschließlich EE-Strom zwischengespeichert wird, gemeinschaftlich genutzt wird (§ 42c Absatz 1 EnWG-E).
- Klarstellung zur Betreibereignung bei juristischen Personen: EE-Anlagen, die von juristischen Personen (also auch Energiegenossenschaften) betrieben werden, sind nur dann für das Energy Sharing geeignet, wenn der Betrieb weder überwiegend der gewerblichen noch überwiegend der selbständigen beruflichen Tätigkeit aller Mitglieder oder beteiligten Gesellschafter (§ 42c Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 EnWG) dient. Die Regelungen ermöglichen Energy Sharing also für Zusammenschlüsse von Letztverbrauchern (wie Energiegenossenschaften), die sich ausschließlich zum Zweck der gemeinsamen Energienutzung gründen, indem diese auf die Tätigkeit aller Mitglieder und Gesellschafter und nicht auf die rechtsfähige Personengesellschaft oder juristische Person des Privatrechts selbst abgestellt werden. Ferner darf eine juristische Person die EE-Energy-Sharing-Anlage auch betreiben, wenn für die juristische Person selbst der Betrieb keine überwiegende gewerbliche oder selbstständige berufliche Tätigkeit darstellt.
- Netzbetreiberpflichten und Zeitplan: Betreiber von Elektrizitätsverteilernetzen sind verpflichtet, die gemeinsame Nutzung sicherzustellen (§ 42c Absatz 4 EnWG-E). Dies ist vorgesehen:
- Ab dem 1. Juni 2026 innerhalb des Bilanzierungsgebietes eines Elektrizitätsverteilernetzbetreibers.
- Ab dem 1. Juni 2028 auch innerhalb des Bilanzierungsgebietes eines direkt angrenzenden Elektrizitätsverteilernetzbetreibers in derselben Regelzone.
- Vereinfachung der Direktvermarktung: Im Rahmen der gemeinsamen Nutzung von Strom aus EE-Anlagen wird der Grundsatz der „starren Proportionalität“ gelockert, was eine flexiblere Aufteilung von Strommengen zwischen verschiedenen Veräußerungsformen ermöglicht. Dies betrifft Regelungen in § 21b Absatz 2 EEG-E.
Netzausbau und Digitalisierung im Verteilernetz
Für Energiegenossenschaften, die Stromnetze betreiben, enthält das Gesetz wichtige Anpassungen und Verpflichtungen zur Digitalisierung und Beschleunigung:
- Überragendes öffentliches Interesse: Die Errichtung und der Betrieb von Elektrizitätsverteilernetzen liegen nun im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit (§ 14d Absatz 10 EnWG-E). Der beschleunigte Ausbau soll als vorrangiger Belang in die Schutzgüterabwägung eingebracht werden, bis die Stromversorgung nahezu treibhausgasneutral ist.
- Ebenso liegt die Errichtung und der Betrieb von Energiespeicheranlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit. Der beschleunigte Ausbau von Energiespeicheranlagen soll bis zur Erreichung der nahezu treibhausgasneutralen Stromversorgung (2045) als vorrangiger Belang in die Schutzgüterabwägung eingebracht werden (§ 11c EnWG-E).
- Gemeinsame Internetplattform für den Netzzugang: Die Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen werden verpflichtet, eine gemeinsame und bundesweit einheitliche Internetplattform zu errichten und zu betreiben, um Verfahren im Bereich des Netzzugangs abzuwickeln (§ 20b EnWG-E).
- Veröffentlichung von Netzdaten: Betreiber von Elektrizitätsverteilernetzen müssen aggregierte Daten über Netzverlustenergiemengen und Beschaffungskosten veröffentlichen (§ 23c Absatz 3 EnWG-E).
Eigenverbrauchsschutz bei Redispatch
Um den europarechtlich geschützten Eigenverbrauch von EE- und KWK-Strom bei Redispatch-Maßnahmen zu gewährleisten, muss der Netzbetreiber Artikel 13 Absatz 6 Buchstabe c der Verordnung (EU) 2019/943 beachten, der im nationalen Recht in § 13a EnWG-E verankert ist.
Netzentgeltbefreiung für Speicher (Übergangsregelung)
Die Anpassung in § 118 Absatz 6 Satz 3 EnWG-E stellt sicher, dass die Befreiung von Netzentgelten für Stromspeicher auch dann gewährt wird, wenn der ausgespeicherte Strom nur anteilig in dasselbe Netz wiedereingespeist wird, aus dem er entnommen wurde. Dies ermöglicht Betreibern die anteilige wirtschaftliche Vermarktung, da sie für diese Strommengen von der Netzentgeltbefreiung Gebrauch machen können. Durch den eingefügten Verweis auf § 21 des Energiefinanzierungsgesetzes (§ 21 EnFG-E) werden explizit auch bidirektional genutzte Ladepunkte für Elektromobile in diese anteilige Netzentgeltbefreiung einbezogen.
Marktteilnehmer und Verbraucherschutz
Es soll eine Pflicht zur Sicherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Stromlieferanten eingeführt werden. Jeder Stromlieferant, der Haushaltskunden mit Elektrizität beliefert, muss zur Gewährleistung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angemessene Absicherungsstrategien entwickeln und befolgen (§ 5 Absatz 4a EnWG-E). Diese Strategien sollen das Risiko von Änderungen des Elektrizitätsangebots auf dem Großhandelsmarkt für die wirtschaftliche Tragfähigkeit ihrer Verträge mit Kunden begrenzen. Zudem müssen Lieferanten angemessene Maßnahmen ergreifen, um das Risiko eines Ausfalls der Belieferung ihrer Kunden zu begrenzen.
Übergangsregelung für Kundenanlagen (bis 2029)
Die Neufassung von § 118 Absatz 7 EnWG-E schafft eine Übergangsregelung für Bestandskundenanlagen, die unter den bisherigen Kundenanlagenbegriffen des § 3 Nummer 65 und 66 fielen und bis zum Inkrafttreten des Gesetzes an ein Energieversorgungsnetz angeschlossen wurden. D.h. alle Kundenanlagen, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes an ein Energieversorgungsnetz angeschlossen werden, können von der Übergangsregelung Gebrauch machen. Für diese Anlagen sind Vorgaben in Bezug auf die Regulierung von Energieversorgungsnetzen im Sinne des § 3 Nummer 37 EnWG-E erst ab dem 1. Januar 2029 anzuwenden. Diese Übergangsregelung konserviert die bisherige Rechtslage für diese Bestandsanlagen für drei Jahre, um Betreibern (die möglicherweise komplexe interne Netze verwalten) Zeit zu geben, sich auf neue regulatorische Anforderungen einzustellen oder notwendige strukturelle Anpassungen vorzunehmen. Ferner geben diese drei Jahre allen Beteiligten die Möglichkeit weitergehende sowie dauerhafte fachliche, politische und gesetzgeberische (z.B. auf europäischer Ebene) Lösungen für Bestandskundenanlagen und neue Kundenanlagenprojekte zu entwickeln und umzusetzen.
Die Koalitionsfraktionen empfahlen zudem die Annahme des Entschließungsantrags I., der die Bundesregierung auffordert, möglichst zeitnah, jedenfalls rechtzeitig vor Ablauf dieser Übergangsregelung (1. Januar 2029), eine mit dem Unionsrecht vereinbare Regelung zu erarbeiten, die Rechtssicherheit für Kundenanlagenprojekte gewährleistet und unverhältnismäßige bürokratische Lasten vermeidet.
Außenbereichsprivilegierung im Baugesetzbuch (BauGB)
Zur Beschleunigung der Energiewende wurden neue Vorhaben in den Katalog der im Außenbereich privilegierten Bauvorhaben aufgenommen.
Dies betrifft nun Anlagen:
- Die der untertägigen Speicherung von Wärme oder Wasserstoff dienen (§ 35 Absatz 1 Nummer 10 BauGB-E).
- Die der Speicherung von elektrischer Energie in einer Batteriespeicheranlage mit einer Speicherkapazität von mindestens 1 Megawattstunde dienen (§ 35 Absatz 1 Nummer 11 BauGB-E).
Fristverlängerung im Wärmeplanungsgesetz (WPG)
Für bestehende Gemeindegebiete, in denen zum 1. Januar 2024 100.000 Einwohner oder weniger gemeldet sind, verlängert sich die Frist zur Erstellung des Wärmeplans bis zum 31. Dezember 2026, sofern die Erstellung Gegenstand einer Förderung aus Mitteln des Bundes war (§ 5 Absatz 2 Satz 1 WPG-E).
Ausblick
Sobald der Bundesrat am 21. November 2025 den Gesetzesentwurf beschlossen hat, muss es nur noch vom Bundespräsidenten unterschrieben und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Anschließend tritt das Gesetz in Kraft.
Die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV hat sich über viele Jahre für die Einführung von Energy Sharing erst auf europäischer und anschließend auf nationaler Ebene in der Politik eingesetzt. Unsere gemeinsame, mit der genossenschaftlichen Praxis entwickelte Idee war die Schaffung einer Möglichkeit, dass EE-Strom aus gemeinsamen Erzeugungsanlagen zusammen wirtschaftlich genutzt/geliefert werden kann. Politisch ließ sich leider kein solches wirtschaftliches Energy Sharing durchsetzen. Durch den deutschen Gesetzgeber wurde leider eher ein Energy Sharing für natürliche Personen (Letztverbraucher) eingeführt. Es bleibt aber positiv festzuhalten, dass sich nun erstmalig Regelung zum Energy Sharing in deutschen Energiegesetzen wiederfinden. Das ist angesichts der bisherigen Situation als ein großer Erfolg anzusehen. Wir sehen diese Regelungen als einen Ausgangspunkt, den es in den nächsten Jahren weiterzuentwickeln gilt. Die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV wird sich weiter dafür einsetzen, dass die Energy-Sharing-Regelungen für die genossenschaftliche Praxis verbessert werden. Wir sehen diese Regelungen als einen Ausgangspunkt, den es in den nächsten Jahren weiterzuentwickeln gilt.
Außerdem begrüßen wir den Aufbau einer zentralen Netzzugangsplattform und die Verbesserungen für Speicher (wie die Außenbereichsprivilegierung, Netzentgeltbefreiung).
Mit der dreijährigen Übergangsregelung für Bestandskundenanlagen reagiert der Gesetzgeber sehr erfreulich auf die Probleme, die das BGH-Urteil geschaffen hat. Hierzu haben wir u.a. im August gemeinsam mit 26 weiteren Stakeholdern aus Mittelstand, der kommunalen Energiewirtschaft und der Immobilienwirtschaft einen Appell an die Bundesregierung gerichtet. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, eine dauerhafte und zufriedenstellende Lösung für bestehende und neue Kundenanlagenprojekte auf europäischer und/oder deutscher Ebene zu finden.
Den Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drucksache 21/1497) finden Sie hier.
Die Beschlussempfehlung des Wirtschaft- und Energieausschusses (Drucksache 21/2793) finden Sie hier.