Einleitung
Mit Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) am 2. Juli 2023 wurde in Deutschland ein umfassender rechtlicher Rahmen für den Schutz von Whistleblowern geschaffen. Das Gesetz setzt die EU-Whistleblowing-Richtlinie (EU) 2019/1937 in nationales Recht um und geht in einigen Punkten sogar darüber hinaus. Ein zentrales Element des HinSchG ist die Verpflichtung zur Einrichtung interner Meldestellen für Unternehmen und Behörden ab einer bestimmten Größe. Dabei stellt sich die Frage, ob und inwieweit anonyme Meldemöglichkeiten vorgesehen werden müssen. Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Grundlagen, diskutiert die Notwendigkeit anonymer Meldewege und stellt Best-Practice-Lösungen für die Umsetzung vor.
Rechtliche Grundlagen
Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) verpflichtet Unternehmen und Behörden ab 50 Beschäftigten zur Einrichtung interner Meldestellen. Diese müssen Meldungen über Verstöße gegen geltendes Recht entgegennehmen und bearbeiten. § 16 Abs. 1 HinSchG sieht vor, dass interne und externe Meldestellen Meldungen unabhängig davon zu bearbeiten haben, ob sie anonym oder unter Nennung des Namens erfolgen.
Neben dem HinSchG existieren in verschiedenen Bereichen bereits spezialgesetzliche Vorgaben zur Einrichtung anonymer Meldekanäle. So schreibt etwa § 6 Abs. 5 des Geldwäschegesetzes (GwG) vor, dass verpflichteten Mitarbeitern die Möglichkeit eingeräumt werden muss, unter Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität Verstöße gegen geldwäscherechtliche Vorschriften intern melden zu können.
Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die neuen Auslegungs- und Anwendungshinweise der BaFin zum Geldwäschegesetz. Diese stellen klar, dass neben § 6 Abs. 5 GwG auch Art. 32 Abs. 2 GTVO 2023 sowie § 12 Abs. 1 HinSchG die Einrichtung einer internen Meldestelle vorschreiben. Den Erfordernissen all dieser Normen kann durch die Einrichtung einer einzigen internen Meldestelle genüge getan werden.
Die Notwendigkeit anonymer Meldemöglichkeiten
Obwohl das HinSchG keine explizite Pflicht zur Ermöglichung anonymer Meldungen vorsieht, sprechen gewichtige Gründe dafür, solche Meldekanäle bereitzustellen:
- Effektivität des Hinweisgeberschutzes: Anonyme Meldemöglichkeiten senken die Hemmschwelle für potenzielle Hinweisgeber erheblich. Viele Missstände würden ohne die Option zur Anonymität möglicherweise gar nicht gemeldet werden. Die Praxis zeigt, dass anonyme Hinweisgeber ebenso wertvolle Informationen liefern wie namentlich bekannte Personen.
- Schutz der Hinweisgeber: Trotz der im HinSchG vorgesehenen Schutzmaßnahmen besteht für Hinweisgeber stets ein Restrisiko von Repressalien. Die Möglichkeit zur anonymen Meldung bietet hier einen zusätzlichen Schutz. Dies ist besonders wichtig in Fällen, in denen es um schwerwiegende Verstöße oder mächtige Akteure geht.
- Compliance-Aspekte: Die Einrichtung anonymer Meldekanäle kann als Ausdruck einer effektiven Compliance-Organisation gewertet werden. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung anerkannt, dass ein funktionierendes Compliancesystem bei der Bemessung von Geldbußen gegen Unternehmen mildernd berücksichtigt werden kann (BGH, Urteil vom 09.05.2017 - 1 StR 265/16).
- Internationale Standards: In vielen Ländern, insbesondere den USA, sind anonyme Meldemöglichkeiten bereits Standard. Nicht nur für international tätige Unternehmen empfiehlt es sich daher, einheitliche globale Standards zu implementieren.
- Technische Machbarkeit: Moderne digitale Hinweisgebersysteme ermöglichen eine anonyme Zwei-Wege-Kommunikation zwischen Hinweisgeber und Meldestelle. Dadurch können Rückfragen gestellt und zusätzliche Informationen eingeholt werden, ohne die Anonymität zu gefährden.
Umsetzung in der Praxis
Für die praktische Umsetzung eines effektiven Hinweisgebersystems mit anonymer Meldemöglichkeit sind diverse rechtliche und organisatorische Aspekte zu berücksichtigen:
- Unternehmensgröße: Für größere Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern bietet sich das "Hinweisgebersystem 360" an. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stellt das "Hinweisgeberportal.de" in Zusammenarbeit mit dem Bundesanzeiger Verlag eine kostengünstige Alternative dar.
- Externe Ombudsstelle: Die Beauftragung einer externen Ombudsstelle – wie der AWADO Rechtsanwaltsgesellschaft – bietet die Vorteile, Interessenkonflikte zu vermeiden und den Hinweisgebern zusätzliche Sicherheit zu bieten.
- Integration in die Compliance-Struktur: Das gewählte Hinweisgebersystem sollte in die bestehende Compliance-Struktur des Unternehmens integriert werden. Dazu gehört die Schulung der Mitarbeiter und die Etablierung klarer Prozesse für die Bearbeitung und Nachverfolgung von Hinweisen.
- Rechtliche Aspekte: Bei der Einrichtung eines Hinweisgebersystems sind insbesondere datenschutzrechtliche Vorgaben (DSGVO) und betriebsverfassungsrechtliche Aspekte (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) zu beachten.
- IT-Sicherheit: Bei digitalen Hinweisgebersystemen ist auf höchste IT-Sicherheitsstandards zu achten, um die Vertraulichkeit und Integrität der Meldungen zu gewährleisten.
Fazit und Ausblick
Die Einrichtung anonymer Meldemöglichkeiten im Rahmen eines Hinweisgebersystems ist trotz fehlender expliziter gesetzlicher Verpflichtung im HinSchG dringend zu empfehlen. Sie trägt wesentlich zur Effektivität des Hinweisgeberschutzes bei und kann als Ausdruck einer gelebten Compliance-Kultur gewertet werden.
Besonders hervorzuheben sind die Vorgaben der BaFin aus den neuen Auslegungs- und Anwendungshinweisen zum Geldwäschegesetz. Diese verdeutlichen, dass in bestimmten Bereichen, insbesondere im Finanzsektor, die Möglichkeit anonymer Meldungen bereits jetzt zwingend erforderlich ist. Eine analoge Anwendung auf den Nicht-Finanzsektor kann aber nicht ausgeschlossen werden.
Unternehmen sollten die Einführung oder Anpassung ihrer Hinweisgebersysteme als Chance begreifen, ihre Compliance-Strukturen zu stärken und potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen. Ein gut implementiertes System mit anonymer Meldemöglichkeit kann nicht nur rechtliche Risiken minimieren, sondern auch zu einer offenen und vertrauensvollen Unternehmenskultur beitragen.
Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber in Zukunft die Vorgaben des HinSchG weiter konkretisieren und möglicherweise eine explizite Pflicht zur Ermöglichung anonymer Meldungen einführen wird. Bis dahin liegt es in der Verantwortung der Unternehmen, im Rahmen ihrer Compliance-Bemühungen angemessene und effektive Lösungen zu implementieren. Die Einrichtung anonymer Meldekanäle sollte dabei als Best Practice angesehen werden, die sowohl den Interessen des Unternehmens als auch denen potenzieller Hinweisgeber dient.